Susanne Stern ist Textildesignerin mit einer großen Begeisterung für Pflanzen. Ihre Vision ist es, die Pflanzenfarbstoffe immer mehr in unseren Alltag zu holen. So hat sie in ihrer Masterarbeit für Conceptual Textile Design und einem Forschungsprojekt mit nachhaltigen Textilunternehmen ein Verfahren entwickelt, mit dem man mit natürlichen Farbstoffen Textilien bedrucken kann.
In ihrem Podcast “Colours of Eden” stellt sie ihr Wissen aus den über 10 Jahren Erfahrung zur Verfügung. Auf dem gleichnamigen Instagram-Account zeigt sie regelmäßig einheimische Heilpflanzen, die wunderschöne Farben auf Textilien zaubern.
Warum sollte jeder von uns selber färben?
Das Färben mit Pflanzen ist auch eine Selbsterfahrung. Wir erleben durch diesen kreativen Prozess eine ganz neue Achtung vor unseren Textilien, der Natur und unseren eigenen Kräften. Wir können sogar eine Heilung erfahren. Jede Pflanze, die färbt, ist gleichzeitig eine Heilpflanze und man spürt diese besondere Kraft in Form der Farben. Sie sind sehr ästhetisch, haben eine starke Ausstrahlung und passen alle zusammen, egal welche Farben miteinander kombiniert werden.
Was brauchen wir, um mit dem färben loszulegen?
Für eine einfache Färbung sollte der Großteil der Ausrüstung schon in deiner Küche vorhanden sein. Färbende Pflanzen findest du überall in der Natur, im Garten, im Gemüseladen oder im Internet. Je nach Anspruch auf die Haltbarkeit der Farbe kann man zur Fixierung einfach mit Sojamilch oder auch Hafermilch beginnen. Für richtige Echtheiten braucht es Metallsalze, die man für wenig Geld im Internet bestellen kann. Bald gibt es bei Colors of Eden ein Färbe-Set, in dem schon alles für eine Färbung und Fixierung enthalten ist.
Welche Methoden gibt es?
Der Ablauf ist fast immer der Gleiche. Für die meisten Pflanzen brauchst du eine Vorbehandlung der Stoffe/Garne mit einer sogenannten Beize. Das kann beispielsweise eine Milch oder Alaun sein. Währenddessen werden die Pflanzenteile in Wasser gekocht und sie extrahieren. Das wird die sogenannte Flotte, in der dann später die eigentliche Färbung passiert. In diese tauchst du deinen Stoff. Voilá — und schon erhält er eine einzigartige Farbe.
Wie haben sie sich im Laufe der Zeit entwickelt?
Bis Ende de 19. Jahrhunderts wurde ausschließlich mit natürlichen Rohstoffen gefärbt. Im Zuge der Industrialisierung wurde die Möglichkeit entdeckt, Farben aus Mineralöl zu synthetisieren. Die erste Farbe war Indigo, also ein Blau. Schnell folgten alle weiteren Farben. Die pflanzliche Färberei hatte dadurch in der westlichen Textilindustrie sehr bald an Bedeutung verloren.
Welche Bedeutung hatte färben früher?
Die Vorteile der Industrialisierung waren auch im Handwerk des Färbens zu spüren. Heute kann sich jeder Mensch, unabhängig von seinem gesellschaftlichen Stand und Einkommen in allen Farben des Regenbogens kleiden. Und das ist toll! Früher hingegen waren bestimmte Farben, wie zum Beispiel Purpurrot, nur hochrangigen Menschen des öffentlichen Lebens vorbehalten. Das gehobene Bürgertum leistete sich Textilien von sogenannten Blaufärbern, Schwarzfärbern und Schönfärbern. Die einfachen Menschen gingen in den Garten oder auf die Wiese, um sich über dem heimischen Herdfeuer ihre Kleidung selber zu färben.
Ganz konkret: Wie können wir uns den Prozess vorstellen? Könntest du uns ein Beispiel geben? Wie lange dauert das Färben?
Wolle und Seide bringen die lebendigsten Farben hervor. Auf meiner Webseite kann man viele Informationen dazu finden. Vor der Färbung erfolgt die Fixierung. Für eine schonende Fixierung legt man den Stoff mehrmals in Milch ein. Für mehr Echtheiten lässt man die Stoffe für ca. 1 Stunde in einem Topf mit Wasser und Metallsalzen köcheln. Parallel kann der Farbstoff aus den Pflanzen durch Extraktion gewonnen werden. Das geschieht durch ein Auskochen der Pflanzenteile und kann ca. 1 Stunde bis 3 Stunden in Anspruch nehmen. In dem extrahierten Sud wird das Textil dann für ca. eine Stunde gefärbt. Das hört sich jetzt vielleicht für dich aufwendig an. Jedoch beizt, extrahiert und färbt ja alles, ohne dass du die ganze Zeit daneben stehen musst.
Du bist Expertin, was das Thema Färben mit pflanzlichen Inhaltsstoffen angeht. Wir sind gespannt: Welche heimischen Pflanzen und Materialien können wir verwenden?
Oh, da gibt es unendlich viele! Wenn wir spazieren gehen und ich dabei Pflanzen sammle, fragt mein Mann mich oft: “Gibt es auch Pflanzen, die nicht färben?” Am liebsten mag ich die universellen Heilpflanzen, die tolle Heilstoffe wie Tannine, Anthocyane und auch Flavonoide enthalten. Diese sind gleichzeitig auch deren Farbstoffe. Zum Beispiel färben Johanniskraut und Schafgarbe ein Gelb. Holunderbeeren, Mohnblüten und Brombeeren färben mithilfe der Anthocyane ein tiefes Violett. Tannine finden wir in frischen Walnussschalen, Rinden, Blättern und Baumfrüchten wie Eicheln. Sie färben meistens Braun oder sogar Rosa.
Nimm uns gern mit durch deinen Jahreskreis beim Färben. Welche liebsten 10 Pflanzen hast du und wann nutzt du sie?
Oh, das ist so eine schwierige Frage, denn ich liebe sie alle! Das ist ein Versuch, 10 Pflanzen zu nennen, die wir in Wald und Flur finden können. Frühling: Brennessel, Apfelbaumrinde, Birkenrinde. Sommer: Schafgarbe, Goldrute und Mohnblüten. Herbst: Grüne Walnussschalen, Erlenzapfen. In der Winterzeit finden wir manchmal noch färbende Pflanzen wie eine Brennnessel oder Baumrinde von heruntergefallenen Ästen. In dieser Zeit darf man sich auch den angebauten Färbepflanzen zuwenden. Diese sind besonders farbstoffreich und erzeugen langlebige Farben. Dazu gehört der berühmte Krapp (auch Färberkrapp), mit dem schon die Römer rot färbten. Die Reseda (auch Resede) färbt gelb. Beide Pflanzen sind einheimisch.
Können wir beim Färben mit natürlichen Mitteln alle Farben erzielen?
Ja, den ganzen Regenbogen! Ihre umwerfende Eleganz erhalten sie dadurch, dass sie Komplexfarbstoffe sind und dadurch immer leicht gedeckt wirken. Das heißt, dass wir zwar ein durchstrahlendes Gelb, jedoch keine Neonfarben erzeugen können. Ich habe durch die natürlichen Färbungen einen ganz neuen Blickwinkel auf das große Thema “Farbe” bekommen.
Welche Stoffe eignen sich gut zum Färben?
Man kann mit allen Stoffen färben, sogar mit künstlichen Fasern. Die schönsten Färbungen erhalten wir auf Seide und Wolle. Sie nehmen sehr viel Farbstoff auf und durch ihren Glanz wirken die Farben vibrierend. Etwas heller fallen die Färbungen auf Baumwolle, Leinen und anderen pflanzlichen Fasern aus. Vor der Behandlung einfach bei hoher Temperatur waschen. Richtig gut sind gebrauchte Vintage-Stoffe. Sie sind besonders aufnahmefähig, weil sie oft gewaschen wurden.
Verwaschen die Farben mit der Zeit? Wie pflegen und waschen wir unsere selbst gefärbten Stoffe am besten?
Die kultivierten Färbepflanzen, wie Krapp, Reseda, Blauholz oder Färbermaulbeerbaum haben zum Teil so gute Echtheiten, wie manche künstliche Farbstoffe. Jedoch brauchen sie pH-neutrale Waschmittel, da die Farbstoffe bei stark alkalischen Waschmitteln, z.B. Vollwaschmittel, nicht stabil bleiben.
Optimal ist ein pH-neutrales Waschmittel oder Olivenseife in Verbindung mit einer Höchsttemperatur von 40 °C. Dann bist du auf der sicheren Seite.
Welches war dein tollstes Projekt?
Zurzeit bin ich total fasziniert von der Heilkraft der Färbepflanzen. Ich habe schon viele Ideen, was ich mit diesem Ansatz machen möchte. Bleibt gespannt.
Warum scheuen sich viele große Bekleidungshersteller, mit pflanzlichen Mitteln zu färben?
Die Vorteile künstlicher Farbstoffe sind aus industrieller und wirtschaftlicher Sicht kaum zu toppen. Die Ergebnisse sind vorhersehbarer, die Nachlieferung der Pflanzen ist planbarer, die Pflege für Kunden einfacher und – last but not least – sie sind um einiges günstiger. Und doch wird es in den nächsten Jahren immer mehr Kunden geben, die lieber auf preislichen und pflegeleichten Komfort verzichten werden, um die Zukunft unserer Ressourcen und damit auch unserer Kinder zu sichern. Viele Hersteller möchten das im Herzen auch schon.
Hast du einen Tipp für unseren nächsten Kleiderkauf?
Echte Nachhaltigkeit fängt bei unserem Konsum an – je weniger, desto besser. Kaufe nur etwas, wenn du es wirklich brauchst, es dir so richtig gefällt, bequem ist und das du am liebsten gar nicht mehr ausziehen möchtest. Wenn es dein Geldbeutel und dein Geschmack zulässt, dann sehr gern nachhaltig. Jeder Kauf unterstützt Labels, die aus echten Herzensgründen arbeiten. Solltest du diese Möglichkeit nicht haben, ist eine zweite gute Entscheidung Second-Hand zu kaufen. Wenn du in beiden Kategorien keine Möglichkeit findest, ist das okay, wenn du auch einmal einen Einkauf bei den typischen Ketten machst, wenn er dir richtig gefällt. Auch ich habe zwei solcher Kleider in meinem Schrank, die ich seit vielen Jahren trage und liebe – letzteres ist entscheidend.
Susannes wilder Steckbrief
Dein liebstes Ritual:
Abends vor dem Einschlafen noch einmal an die schönsten Dinge vom Tag denken.
Dein liebstes Wildkraut:
Aktuell ist es das wunderbare Johanniskraut.
Dein Kraftort:
Meine Heimat, die Ostsee.
Der schönste Moment deiner Arbeit:
Wenn ich merke, dass ich jemanden mit meiner Arbeit berühren und erreichen durfte.
Deine Mission:
Naturfarbstoffe und Pflanzen in unseren Alltag zurückzubringen.
Eine Sache, für die du dankbar bist:
Dass mein Wunsch, eine kleine Familie zu haben, in Erfüllung gegangen ist. ❤️
Liebe Susanne, wir danken dir sehr für dieses informative, inspirierende und mutmachende Interview. Wir selbst haben nun große Lust bekommen, unsere Textilien mit heimischen Wildkräutern zu färben und einen neuen Look zu verpassen. Wenn ihr mehr von Susanne lesen wollt, besucht sie auf ihrem Blog, ihren Workshops oder Instagram.