In diesem wahnsinnig spannenden, wilden Interview durften wir all unsere Fragen bei Rosanna loswerden. Sie arbeitet auf dem Hof von Gut und Bösel als Agroforst-Managerin. Sie kümmert sich um die Planung und die Ernte aus der Agroforstwirtschaft. Rosi erklärt uns den Begriff der Agroforestry und syntropische Landwirtschaft. Hinter diesen wichtigen Begriffen stecken neuartige und doch altbewährte Konzepte, bei denen wir mit der Natur arbeiten, nicht gegen sie. Und trotzdem gute Ernten erzielen.
In diesem super interessanten Gespräch erfahren wir vieles über die Arbeit auf dem regenerativen Landwirtschaftsbetrieb in Alt Madlitz von Benedikt Bösel. Hier wird so ziemlich alles anders gemacht, als bei Großbetrieben in der konventionellen Landwirtschaft. Doch statt zu klagen, gehen sie mit Machermentalität voran, probieren sich aus, setzen Beispiele und blicken mit realistischen Visionen optimistisch in die Zukunft. Ein spannender Blick in ein Thema, das uns alle betrifft und mit dem wir uns noch viel mehr beschäftigen sollten.
Wer steht hinter Gut und Bösel? Wo und bei wem befinden wir uns? Was macht ihr?
Rosi: Gut & Bösel ist ein insgesamt 3000 ha großer Familienbetrieb, bestehend aus Forst- und Landwirtschaft. Unser Hof befindet sich eine Stunde östlich von Berlin in Alt Madlitz. 2004 ist der landwirtschaftliche Betrieb auf biologische Produktion umgestiegen. Seit 2018 sind wir außerdem dabei, unsere Praktiken nicht nur biologisch, sondern auch regenerativ zu gestalten: Wir wollen unsere Ackerflächen durch unser Eingreifen, unser Nutzen, in einen besseren Zustand überführen. Um das zu erreichen, arbeiten wir zum Beispiel mit holistischem Weidemanagement, halten unsere Legehennen in mobilen Hühnerställen und bepflanzen immer mehr Flächen mit Agroforstsystemen. Der Fokus unserer Arbeit ist immer auf die Gesundheit des Bodens gerichtet und darauf, Kreisläufe zu schließen.
Was steckt hinter dem englischen Begriff Agroforestry?
Rosi: Agroforestry oder auch Agroforstwirtschaft bezeichnet die Nutzung von Ackerfrüchten wie z.B. Weizen oder Gemüse in Kombination mit Strauch- und Baumarten sowie Tieren auf derselben Fläche. Die einzelnen Komponenten wirken sich positiv aufeinander aus. Durch agroforstliche Praktiken entsteht eine Mehrfachnutzung der Fläche. Wir bewegen uns weg von dem Bild der Monokultur, der Mono-Nutzung, und schaffen stattdessen vielschichtige, multifunktionale Systeme, die wir nicht nur einmal, sondern mehrmals im Jahr beernten können. Durch unsere Arbeit entstehen Biodiversitäts-Hotspots auf Ackerflächen, wir reduzieren Wasser- und Winderosion, speichern Kohlenstoff ober- sowie unterirdisch, erhöhen den Humusgehalt im Boden und pflanzen stabile, resiliente Landnutzungssysteme.
Ökologisch gesehen sind die Vorteile klar und weltweit bewiesen. Leider hindern teils hohe Erstinvestitionskosten das Anlegen solcher Systeme und auch die Politik steht mit diesem Thema erst am Anfang, weshalb Landwirte in der Umsetzung aktuell fast kaum unterstützt werden. Wir hier in Alt Madlitz arbeiten daran, Landwirt*innen vor allem in der Region, aber auch darüber hinaus, zu zeigen, wie eine solche, andere Form der Landnutzung aussehen könnte, um erlebbar zu machen, von was wir sprechen und worin wir so viel Potenzial sehen.
Wir wollen in den nächsten drei Jahren eine Art “Blueprint” erstellen, mit dem andere Landwirt*innen arbeiten können. In diesem wird dann klar formuliert sein, auf was bei der Anlage genau geachtet werden muss, wie teuer jeder Schritt sein kann, wie hoch die Pflegekosten sind und welche ökologischen Vorteile dabei entstehen. Wir sammeln jeden Tag wertvolle Erfahrungen, machen viele vermeintlich dumme, aber wichtige Fehler, die allesamt notwendig sind, um einen Wandel in der Landwirtschaft zu schaffen.
Warum ist der Wald so wichtig für uns?
Rosi: Oh, darüber könnte ich ewig reden! Im Grunde funktioniert ohne ihn so gar nix mehr. Wälder sind zum Beispiel unglaublich wichtig sowohl für den Kleinen als auch den Großen Wasserkreislauf. Wälder speichern Wasser, schützen uns so auch vor Überschwemmungen und sie befreien unser Trinkwasser von Schadstoffen. Dann kommt noch hinzu, dass der Wald unser Sauerstofflieferant ist! Durch die Photosyntheseleistung der Bäume können wir atmen!
In Wäldern lebt außerdem eine extrem hohe Vielfalt an Tier-, Pflanzen- und Pilzarten. Er speichert für uns Tonnen von Kohlenstoff, lässt uns mithilfe seines Holzes Häuser, Schiffe, Möbel bauen und beliefert uns mit Wärme. Er beschützt uns vor Lawinen und Steinschlägen in Gebirgsregionen und mindert somit die Erosion unserer Böden. Und nicht zuletzt tragen Bäume Jahr für Jahr unglaubliche Mengen an Früchten oder geilsten Nüssen, ohne dass wir irgendwas tun mussten. Wie genial ist das, bitte?
Ihr verfolgt die syntropische Landwirtschaft. Warum?
Rosi: Die syntropische Landwirtschaft ist für uns der ganzheitlichste und sinnvollste Agroforstansatz. Wir überlegen uns, was die Natur die nächsten 100 - 400 Jahre vor Ort, zum Beispiel auf einer Freifläche, machen würde und kürzen diesen Prozess mithilfe verschiedener Prinzipien ab. Spielen wir im Kopf einmal die Entwicklung der Sukzession durch:
Welche Art würde den Boden zuerst neu bedecken? Welche Bäume sind Pionierbaumarten und Erstbesiedler, die viel Sonne brauchen und geringe Nährstoffansprüche haben? Welche Bäume würden diese daraufhin ablösen?
Dieses Szenario versuchen wir dann mit Wertbäumen zu ergänzen, die intervallartig jedes Jahr den Betrieb finanziell stabilisieren können. Wir schauen, wie die Natur es machen würde und passen es an unsere Bedürfnisse an. Wir mischen deshalb viele Nuss- aber auch Obstbäume und Wertholzbäume in die Systeme. Mit dieser Vielfalt sind wir auch gut in der Zukunft gegenüber unsicheren Marktpreisen abgesichert. Sollte eine Baumart ausfallen, ist immer schon eine zweite in den Startlöchern und kann den Ausfall ersetzen.
Außerdem legen wir viel Wert darauf, dass immer bis zu vier Schichten oder auch Straten vorhanden sind: Krautschicht - Strauchschicht - Baumschicht - Überhälter, um maximale Photosyntheseleistung zu erhalten. Wie es in einem gesunden Wald auch der Fall wäre.
Mit der syntropischen Agroforstwirtschaft bauen wir Ökosysteme wieder auf, wir regenerieren den Boden, schützen Lebensräume und das alles, während wir dauerhaft eingreifen. Im Einklang mit der Natur. Ernst Götsch hat mal diesen einen Satz gesagt, der dazu sehr gut passt: “Wenn du im Einklang mit der Natur arbeitest, arbeitet sie am Ende für dich mit.” Und das ist genau der Ansatz, den wir verfolgen.
Und warum machen das nicht alle so?
Rosi: Uns fehlt vor allem das notwendige Know-How und ausgebildete Menschen, die Ökosysteme lesen, verstehen, weiterentwickeln können. In Deutschland sind wir einer der ersten Betriebe, der diese Prinzipien überhaupt anwendet, und solange wir anderen Landwirt*innen nicht vor Augen führen, wie ökologisch sinnvoll, ökonomisch rentabel und wunderschön diese Form der Landwirtschaft ist, fällt es schwer, “Anhänger*innen” zu finden. Die Skepsis gegenüber Bäumen, die Annahme, sie stehen nur in Konkurrenz zur Wasser- und Nährstoffaufnahme, ist sehr groß. Für viele stehen sie, platt gesagt, auch einfach nur im Weg. Das meine ich ernst!
Außerdem ist die Arbeit, die wir aktuell leisten, kaum mechanisierbar. Wir stehen noch am Anfang einer langen Reise, bei der wir hoffen, dass wir noch gute Leute finden, die zum Beispiel Maschinen für uns entwickeln und somit Prozesse vereinfachen.
Nicht zuletzt müssen wir es schaffen, dass die Politik das Potenzial von Agroforstwirtschaft versteht und diese gezielt zum Beispiel in Form von Zahlungen für die Erstanlage fördert. Da passiert gerade seit der Gründung des Verbandes der Deutschen Agroforstwirtschaft (DeFAF) schon einiges an Lobbyarbeit! Das ist toll und muss so weitergehen. Es muss meines Erachtens an mehrere Schrauben gleichzeitig gedreht werden. Bei den Politiker*innen, Landwirt*innen und natürlich auch bei den Konsument*innen.
Herzensfrage: Was macht ihr mit heimischen Wildkräutern?
Rosi: Zum einen sammeln wir viele Samen bzw. Früchte oder Nüsse von Wildkräutern, Sträuchern oder Bäumen, die wir dann in neue Systeme wieder aussäen. Damit garantieren wir bis zu einem gewissen Grad die Angepasstheit der Art an unseren sehr trockenen, warmen Standort. Noch dazu können die aus Direktsaat entstehenden Pflanzen ungestört ihr Wurzelwerk etablieren und sind deswegen viel Trockenstress-toleranter, was im Vergleich zu einer verschulten Pflanze aus der Gärtnerei/Baumschule nicht der Fall ist.
Zum anderen pflanzen wir viele heimische mehrjährige Kräuter als Krautschicht in die Baumreihen als sogenannte Systempflanze. Manche davon nutzen wir, manche schneiden wir auch einfach nur runter und mulchen damit die Baumreihe. Die Krautpflanzen sind uns wichtig, weil sie den Boden bedecken und so den Boden vor Verdunstung schützen.
Des Weiteren sind sie in unserer Kulturlandschaft super selten geworden und empfinden sie somit als schützenswert. Wir sehen es als Aufgabe, das Potenzial dieser für viele unbekannt gewordenen Arten, wieder aufleben zu lassen. Wir wollen altes Wissen wieder aufleben lassen und Menschen zeigen, was man aus der Natur alles so essen kann, welche Wirkungen die einzelnen Pflanzen haben und wie gut sie riechen oder schmecken können!
Was passiert, wenn wir weitermachen, wie gehabt?
Rosi: Ich bin eigentlich ein sehr positiver und optimistischer Mensch, aber wenn ich mir überlege, dass kein Systemwandel in der Landwirtschaft passieren wird, wird mir ganz flau im Bauch. Wir bringen weltweit durch industrielle Landwirtschaft das in Gefahr, worauf all unser Leben basiert: gesunde Luft, gesundes Wasser, gesunden Boden, gesunde Nahrungsmittel. Leider wissen wir ja sogar ziemlich genau, wie schlecht es um das alles steht. Ein Drittel der Böden weltweit sind degradiert. Wir verschmutzen unsere Luft, trinken verunreinigtes Wasser und finden Chemikalien und Plastik in unserer Nahrung. Und dann noch die bereits vorhandenen und bevorstehenden Klimaextreme. Wir brauchen dringend ein Umdenken und eine resiliente, diverse, flexible Landwirtschaft.
Was würdet ihr euch von der Gesellschaft wünschen? Was können wir alle im Kleinen tun?
Rosi: Bei uns vorbeikommen zum Beispiel :) informiert euch über das, was gerade abgeht, egal ob beim Bauern nebenan oder in Almería. Schaut nicht weg. Verpackt jedoch das Gelesene nicht in Depression und Frustration, sondern ändert euer Verhalten, eure Entscheidungen, seien es Kleinigkeiten. Lernt voneinander, erzählt Freunden oder Eltern davon, macht euch auf die Reise nach dem, was da draußen alles so wächst. Pflückt es, schmeckt es. Wenn wir allein damit anfangen würden, weniger spanischen Romanasalat zu essen und stattdessen schauen würden, was am Wegesrand sprießt und essbar ist, lebten wir nicht nur gesünder, sondern auch wieder näher an dem, was um uns herum lebt. Wenn wir uns wieder verbinden mit der Natur, ihre Schönheit sehen, sie riechen und schmecken, können wir gar nicht anders als mit großer Freude alles zu tun, um sie zu schützen.
Warum lohnt es sich zu kämpfen?
Rosi: Es macht krank Spaß. Und hey, wir haben wirklich nur einen einzigen Planeten und der ist nicht nur verdammt schön, sondern auch unser einziges Zuhause.
Was konntet ihr bisher erreichen?
Rosi: Wir haben bislang bereits 100ha unseres Betriebes mit Agroforstsystemen bepflanzt. Das macht uns alle schon mächtig stolz. Dahinter steckt ein großes Team, viele Freiwillige und Helfer*innen, eine Menge Überstunden und Schweißarbeit, aber auch so viele wunderschöne Momente, ob mit Freunden oder auch mit den Dorfbewohner*innen. Uns erreichen täglich E-Mails von Fremden, bei denen man beim Lesen regelrecht Gänsehaut bekommt. Ich glaube, wir haben schon vielen Menschen Wissen vermitteln können, sowohl durch unsere Außenkommunikation als auch durch die Arbeit mit den Menschen vor Ort. Wir sind ein starkes Team, haben einen unglaublich empowernden Chef, der uns den Rücken freihält und immer, wirklich immer, für uns da ist. Und dann sehen wir das, was wir bislang gesät und gepflanzt haben, wachsen und freuen uns einfach, dass das wahrscheinlich so vorher noch nie jemand gemacht hat.
Welche Frage stellt ihr euch oft?
Rosi: Warum ist der Tag so kurz? Und warum bin ich nicht so stark wie meine Kollegen? - Grrrr... Und wie kann es sein, dass Landwirt*innen, die einen überlebensnotwendigen Wert schaffen, so einen krassen Beitrag leisten, sich fast tot schuften, nicht fair bezahlt werden, in Strudeln gefangen werden, dann auch noch als Ursacher für quasi alles vom Artensterben bis zur Klimakrise dargestellt werden. Irgendwas läuft da gewaltig schief und ich frage mich oft, ob die Zeit, die uns bleibt, reicht um da wieder raus zu kommen.
Welche Pläne und Visionen verfolgt ihr für die Zukunft?
Rosi: Ein bisschen dazu habe ich am Anfang schon erwähnt. Wir wollen Menschen, egal wo sie herkommen oder was sie machen (gerne mit dabei sein dürfen Entscheidungsträger*innen wie Landwirt*innen und Politiker*innen hehe und Kinder!), zeigen, wie Landwirtschaft noch aussehen kann. Dazu planen wir regelmäßige Farmtouren. Außerdem wollen wir weiter und besser geile gesunde Lebensmittel produzieren, einen Hofladen aufmachen, vielleicht sogar ein Restaurant eröffnen und die Möglichkeit schaffen, noch mehr Menschen auszubilden. Wir freuen uns über jeden Syntropic Warrior.
Wow, was für ein Interview. Wir danken euch mit vollem Herzen für diese vielen neuen Informationen. Wir wünschen uns so sehr, dass ihr weiterhin so erfolgreich weitermacht. Und natürlich, dass ein Umdenken stattfindet, im Großen, wie auch bei jedem von uns im Kleinen. Danke euch für eure Arbeit, euren Mut und eure Kreativität. Keep it up!
Mehr von Gut und Bösel findet ihr auf ihrer Webseite und Instagram oder schaut am besten gleich direkt vorbei und macht eine Führung oder einen Workshop mit. Viel Freude beim Informieren!
Bilder: Emanuel Finckenstein